Das war das Zukunftswerkstätten-Netzwerktreffen 2023 in der Robert-Jungk-Bibliothek Salzburg

Wie gelingt Co-Creation und die Einstimmung in die Phantasiephase? Wie lässt sich nachhaltige Beteiligung im Stadtteil oder Quartier erreichen und welche Rolle kann dabei die Zukunftswerkstatt spielen? Wie lassen sich Ideen aus Zukunftswerkstätten auf einer Online-Plattform weiterentwickeln? Und: Wie können Zukunftswerkstätten zu kritischem Denken anregen? Das waren die Themen des Netzwerktreffens Zukunftswerkstätten 2023, das am 21. Oktober in der Robert-Jungk-Bibliothek stattgefunden hat. Zudem wurden weitere Webinarthemen sowie das Treffen 2024 fixiert. Im Folgenden findet ihr einen Bericht.

Teilgenommen haben: Maren Schüppenhaus und Fritz Letsch aus München, Matteo Bruni und Fabian Hagen aus Berlin, Lars Meyer aus Krefeld, Peter Mlzoch, Wien aus Edith Frauscher und Sebastian Riedel aus Salzburg sowie Carmen Bayer und Hans Holzinger von der Robert-Jungk-Bibliothek Salzburg. Im Online-Teil kamen dazu: Lutz von Grünhagen, Ingeborg Latzl-Ewald, Robin Loh, Rita Nassen , Werner Mittelstaedt, Helmut Peters, Sandra Pienta, Sabine Treike,

Zum Netzwerk Zukunftswerkstätten

Kurz zur Geschichte: Seit 1991 gibt es die Treffen der Zukunftswerkstatt-Moderierenden. Diese fanden jährlich zu einem bestimmten Thema an wechselnden Orten statt [Berichte]. 2021 wurde bei einem Treffen in Salzburg vereinbart, in Zukunft kleinere Meetings abzuhalten und diese auf den Austausch unter den Teilnehmenden zu fokussieren. Hans Holzinger berichtete nach einem gemeinsamen Ankommensfrühstück zunächst über den Stand des Netzwerks: Dieses umfasst aktuell 75 Mitglieder, davon sind 51 Personen in der Moderierenden-Datenbank ausgewiesen, die anderen am Austausch Interessierte. Die Webinare, die von Personen aus dem Netzwerk angeboten werden, werden gut angenommen. Auf der neu gestalteten Homepage werden Termine und Ausbildungen angekündigt sowie Beispiele von durchgeführten Zukunftswerkstätten von Netzwerk-Mitgliedern vorgestellt.

Carmen Bayer berichtete in der Folge von der im Februar 2024 zum vierten Mal in der Robert-Jungk-Bibliothek stattfindenden Ausbildung „Zukunftswerkstätten gekonnt anleiten“, die bereits ausgebucht ist. Das Ziel ist, neue Moderierende, auch aus der jüngeren Generation, zu gewinnen. Die Teilnehmenden kommen aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich. Auf der Netzwerk-Homepage werden auch Ausbildungen in anderen Städten beworben – aktuell gibt es eine in Berlin von Kristina Nauditt. In Köln gab es eine Fortbildung durch Stephan Geffers.

In der Folge wurden die in der Vorstellrunde genannten Themen besprochen.

Thema 1: Ins Phantasieren kommen

Sebastian Riedel berichtete von einer Zukunftswerkstatt, in der es ihnen schwer gefallen ist, von der Realität abzuheben und tatsächlich neue Ideen zu generieren. Edith Frauscher von Hummelhirn, die an Fortbildungsinstituten und mit Unternehmen Ideen- & Kreativitätsworkshops durchführt, betonte, dass es manches Mal Umwege und eine langsame Hinführung brauche, um in eine Haltung des Phantasierens zu kommen. Möglich sei etwa die Methode „1000 Dinge“, in der mitgebrachte Gegenstände zweckentfremdet werden, oder das Free Writing, bei dem die Teilnehmenden eingeladen werden, einige Minuten lang ohne Unterbrechung einen Text zu schreiben – entweder ganz frei zum Thema oder mit Hilfe eines „Spungsbrett-Satzes“, wie: „Als Kind war viel kreativer, weil …“ Danach werden aus den Texten die spannenden Begriffe und Gedanken in der Gruppe geteilt. [Weitere Anregungen].   

Lars Meyer arbeitet u.a. mit der Lexikonmethode, in der die Teilnehmenden aus per Zufall ausgewählten Wörtern einen Bericht, etwa für die Tagesschau 2035, erstellen. Möglich sei auch, Geschichten erzählen zulassen, die keinen Sinn ergeben. Auch körperorientierte Methoden wie Rollenspiele, Forum Theater (Fritz Letsch) oder Jonglieren mit Stäben bzw. einander Schweben lassen (Hans Holzinger) wurden berichtet.

Dass es auch um neue Denkhaltungen und Begrifflichkeiten geht, machte Fritsch Letsch am Projekt „Pluriversum“ deutlich. Vorgestellt werden darin Denkansätze der Dekolonialisierung sowie des Postwachstums. Statt den Sustainable Development Goals brauchen wir Sustainable Survival Goals, so ein Beispiel von Fritz, der selbst mit dem Thema Forumtheater mitwirkt. Das Buch „Pluriversum – Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“ ist Ende September 2023 im AG SPAK Verlag in deutscher Sprache erschienen. Hier kannst du die Texte des Buches als PDF herunterladen. Das Angebot ist zwar gratis, aber nicht kostenlos! Zur Unterstützung des Projekts bitten die Herausgebenden um eine Spende!

Demokratie und Beteiligung im Stadtteil bzw. Quartier

Drei neue Ansätze wurden berichtet, in denen die Bewohner:innen eines Stadtteils oder Quartiers zur Mitbestimmung und Selbstorganisierung angeregt werden. Peter Mlczoch schilderte eine aus den indischen Nachbarschaftsparlamenten abgeleitete Methode soziokratischer Nachbarschaftskreise (SONEC).
Nach dem Prinzip „Demokratie von unten“ treffen sich 30 Haushalte einer Nachbarschaft, um gemeinsam Lösungen ihrer Probleme zu erarbeiten. Im Wiener Sonnwendviertel werden Elemente der Methode beim Nachbarschaftsrat angewendet.

Maren Schüppenhaus berichtete von der Methode der  Demokratiecafés, die in München von Dr. Robert Jende im Rahmen des Forschungsprojektes „Repair Democracy“ entwickelt wurden. Ausgehend vom Konzept der Repair Cafés können Bürger:innen hier ihre Anliegen – z. B. für eine lebenswerte Gestaltung ihres Quartiers – „zur Reparatur“ anmelden und formulieren, schärfen und daraus Projekte entwickeln. Die Methode bzw. Elemente der Methode könnten sich mit dem Ansatz von Zukunftswerkstätten gut ergänzen, insbesondere, um erst einmal niederschwellig Anliegen zu sammeln [Demokratiecafé]. Es sei wichtig, Menschen mit ihrem Ärger abzuholen und nicht als Protest-Wähler der AfD zu überlassen und dann für Dialog-unwürdig auszugrenzen. Ebenfalls in München wurde ein Selbsthilfezentrum errichtet, in dem sich Selbsthilfegruppen treffen und Betroffene sich in Selbstwirksamkeit erfahren. Auch das seien „Inseln des Engagement“, so Fritz Letsch.

In Nordrhein-Westfalen gibt es im Rahmen der Politischen Bildung seit vielen Jahren Partizipationserfahrungen. Lars Meyer berichtete aus seiner Arbeit in permanenten Zukunftswerkstätten in Krefeld unter dem Dach des zivilgesellschaftlichen Akteurs Emmaus Krefeld in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung NRW (LINK2).  In der Demokratiewerkstatt Krefeld (LINK 1) werden z.B. einmal im Jahr alle Akteur:innen zu einem „WerkstattTag“ eingeladen, um gemeinsam Anliegen, Probleme und Zukunftslösungen zu besprechen. (LINK 3) Da an solchen Tagen bis zu 400 Personen zusammengekommen, brauche es hierfür unterschiedliche Methoden wie Plakatwände, Fishbowls, dialogische Spaziergänge und kleine Zukunftswerkstätten u.a.m. Eingeladen sind Bürger:innen, Vertreter:innen aus der Politik, Verwaltung und von Vereinen. Wichtig sei, so Meyer, dass es keine Bühne gebe, sondern nur Versammlungsorte auf gleicher Augenhöhe. Die Ergebnisse dieser Versammlungen werden publiziert und mit den Zuständigen weiterbearbeitet. Das Ziel sei, „Sozialräume mit demokratischen Gelingensbedingungen zu schaffen“ (LINK 4) [siehe auch unser Webinar zum Thema].  

Thema 3: Soziale Innovationen aus lokalen Zukunftswerkstätten auf Plattformen weiterentwickeln

Nach einem gemeinsamen Mittagessen stellte Matteo Bruni das Projekt „cocoex“ vor. cocoex entsteht aus “compounds coexists”, also „Verbindungen coexistieren“. Technologie wird als Rahmen genutzt, um Gemeinschaften mithilfe bereits bestehender sozialer Innovationen wie der Zukunftswerkstatt zu ermächtigen und durch Kunst, Wirkung und Transformation voranzutreiben. Durch die Auktion von digitaler Kunst sollen lokale Zukunftswerkstätten finanziert werden, deren Ideen in eine soziale Plattform eingespeist werden. Mittels Blockchain-Technologie sollen allen Mitgliedern der Plattform zur Weiterentwicklung der Ideen beitragen können. Die Zukunftswerkstätten laufen nach dem Dreischritt Kritik – Utopie – Strategie & Verwirklichung ab. Neu am Konzept ist jedoch, dass die Verwirklichung einer Idee nicht nur von der Gruppe umgesetzt werden muss, die sie entwickelt hat, sondern dass diese an eine andere Gruppe abgegeben werden kann („Delegierte Verwirklichung“). Die Initiative, die die Spende erhalten wird, wird von den Teilnehmern identifiziert und per Abstimmung ausgewählt. Das Projektteam um Matteo sucht nun Menschen, die erste Pionier-Zukunftswerkstätten moderieren wollen. Ihr könnt gerne mit Matteo Bruni Kontakt aufnehmen.

Thema 4: Kritisches Denken durch Zukunftswerkstätten fördern

Fabian Hagen berichtete von einer Zukunftswerkstatt mit Jugendlichen, in der in der Kritikphase vorwiegend moralische Aspekte bzw. Probleme auf der persönlichen Ebene eingebracht wurden. Kritik an Machtstrukturen blieb dabei außen vor. Ähnliches zeigte sich in einer von Carmen und Hans moderierten Zukunftswerkstätten-Reihe zum Thema „Klimakrise“ mit Salzburger Schulen, in denen politische Verantwortlichkeiten eher ausgeblendet wurden. In der auch um die Online-Teilnehmenden erweiterten letzten Runde wurde daher darüber gesprochen, wie es gelingen kann, in der Kritikphase auch gesellschaftliche Missstände zu Tage zu fördern, ohne die Gruppen zu beeinflussen. Generell wurde betont, dass die Kritikphase weiterhin eine wichtiger Bestandteil der Zukunftswerkstatt ist, diese müsse aber persönliche Beschwerden hinaus gehen und auch strukturelle Probleme in den Blick nehmen. Carmen Bayer berichtete von einer Zukunftswerkstatt mit Sozialarbeiter:innen und Lehrlingen, in der es gelungen ist, auch politische Probleme zu artikulieren. Es wurde vereinbart, dazu eines der nächsten Webinare im Jahr 2024 abzuhalten.

Vereinbarungen

Das nächste Treffen wird von Lars Meyer mit Kolleg:innen in Krefeld vorbereitet. Voraussichtlicher Termin: 26-10.2024. Zudem wurden drei Themen für weitere Webinare vereinbart: „Mit Jugendlichen in Zukunftswerkstätten Machtstrukturen reflektieren“, „Demokratie im Stadtteil zwischen SDGs und Empowerment“ sowie „Ideenentwicklung auf Plattformen – das Projekt CoCOEx“. Termine und Referierende folgen.

Bericht & Fotos: Carmen Bayer, Hans Holzinger


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