„Kritikphase als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Zukunftsideen“ – Bericht vom Webinar

Die Teilnehmenden des Webinars: Olivia Jonas, Carmen Bayer, Hans Holzinger, Helmut Peters, Susanne Pütz, Wolfgang Fänderl, Gerhard Ainz, Fritz Letsch, Inge Jindra (nicht im Bild).

Welche Bedeutung hat die Kritikphase in der Zukunftswerkstatt? Dieser Frage stellten wir uns im Webinar des Netzwerks Zukunftswerkstätten am 5. November 2024. „Mit dieser Phase beginnt die eigentliche Werkstattarbeit, in der wir einen für alle annehmbaren Zugang zu unserem Problem, dem Anlaß unserer Zusammenkunft finden müssen“, so Robert Jungk und Norbert Müllert in ihrem Buch „Zukunftswerrkstätten“. In diesem heißt es weiter: „Es sollen möglichst alle, auch die radikalsten kritischen Einwände gegen den gegenwärtigen Zustand vorgebracht und notiert werden.“ Die Teilnehmenden könnten so „die Last ihrer Beschwerden, ihrer berechtigten Unruhe und ihres Zorns endlich auspacken, und erfahren darüber hinaus auch die Bedenken anderer“. Gerade die artikulierte Unzufriedenheit könne zu „präzisen Lösungsideen“ finden, schreiben Jungk und Müllert.

In seiner Einführung berichtete Hans Holzinger auf der Basis seiner langjährigen Erfahrung in der Moderation von Zukunftswerkstätten, dass die Möglichkeit, Probleme ohne Zensur und Bewertung artikulieren zu können, wichtig sei für den weiteren Prozess, in dem dann Zukunftsideen entwickelt werden. „Aus Betroffenen werden Beteiligte“ und „Aus Problemen werden Lösungen“ nannte er als wesentliche Prinzipien, mit denen sie Zukunftswerkstätten ihren Auftraggebenden vermitteln. Diese hätten zumindest bislang ausdrücklich immer einen Einstieg mit den Herausforderungen und Problemen gewünscht, da für diese ja Lösungen gefunden werden sollen.

In der Arbeit mit Institutionen und Unternehmen, die ihr Profil weiterentwickeln wollten, wurde auch mit einer Bestandsaufnahme, also einem Einstieg mit den Stärken und Schwächen gearbeitet, so Holzinger weiter. Wichtig für den weiteren Prozess sei jedoch immer das Bearbeiten der Probleme gewesen – und hier der Übergang in die Utopiephase mit dem Positivformulieren der zentralen Kritikpunkte als Zukunftsziele.

Carmen Bayer berichtete von Zukunftswerkstätten mit Jugendlichen, in denen sie dem Benennen von Kritikpunkten einen weiteren Schritt hinzufügte, in der die Teilnehmenden aus den genannten Problemen Dystopiebilder entwickelten – die Probleme sozusagen spielerisch noch zuspitzten, was gut angekommen sei. Auch aus ihrer Erfahrung sei die Kritikphase wichtig, weil hier die Möglichkeit gegeben werde, Negatives loszuwerden, was erst frei mache für das weitere Arbeiten an gemeinsamen Zukunftslösungen.

Susanne Pütz hat eine Zukunftswerkstatt mit einem LehrerInnen-Kollegium einer deutschen Schule in Rumänien durchgeführt und ebenfalls von der Bedeutung der Kritikphase für die Gruppe berichtet. Insbesondere sei es spannend gewesen, dass sich das Kollegium in gemischten Gruppen über deren Wahrnehmung von Problemen im Schulbetrieb austauschen konnte. Es sei aber wichtig, dem Kritisieren nicht zu viel Raum zu geben, der Schwerpunkt der Werkstatt müsse auf der Entwicklung von Zukunftsideen liegen.

Im folgenden Erfahrungsaustausch mit den Teilnehmenden wurde die Bedeutung der Kritikphase ebenfalls unterstrichen, teilweise werde aber mit den Stärken eingestiegen, etwa bei sozial benachteiligten Gruppen, die ohnedies über geringere Eigenressourcen verfügen. Zudem wurde besprochen, dass ein wertschätzender Umgang im Benennen von Kritik nötig sei, die immer an Zuständen, nicht an Personen festgemacht werden dürfe. Bei aufbrechenden Konflikten müsse die Moderation behutsam vorgehen. Spannend war auch die Diskussion über Tabus in Gruppen, die selten direkt angesprochen, sondern eher indirekt gezeigt würden. Hier könne die Moderation ebenfalls unterstützend eingreifen.

Resümee: Manche gehen davon aus, dass das Äußern von Kritik die Gruppe am Phantasieren von positiven Zukunftsentwürfen hindere. Die im Webinar geäußerten Erfahrungen bestätigten dies jedoch nicht, vielmehr wäre in der Regel auch den Auftraggebenden wichtig, an dem anzusetzen, wo es hapert, was also verbessert werden soll und kann.


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